nachdem ich mich im letzten text selbst beweihräuchert habe, zeige ich mich nun mal von meiner fiesen seite: Ich hasse meine nachbarn, also die beiden die links und rechts von mir wohnen. Hassen ist wahrscheinlich übertrieben, aber sie gehen mir tierisch auf den sack. Der eine ist ein enddreißiger, der aussieht wie ein kinderschänder; also glatze mit haarkranz drumrum, dicken brillengläsern, übergewicht und doppelkinn. Seine klamotten sehen aus als würde mutti ihren liebling immer noch einkleiden. Er muss ähnlich wie ich unter sozialen ängsten leiden, nur ist es bei ihm stärker ausgeprägt als bei mir. Es fällt ihm unheimlich schwer zu grüßen, öffnet er seine wohnungstür und hört schritte im flur, schließt er die tür schnell wieder oder er bleibt so lange in seinem nissan micra sitzen bis der zu grüßende außer sichtweite ist. Aus seiner wohnung strömt stets ein leichter bis mittelstarker geruch nach ungewaschenen klamotten, fettigem essen und nassem hund. Da er wohl auch nicht arbeitet und außer den telefonaten mit seiner mutter keinen sozialen kontakt hat, ist er eigentlich einfach nur ein armer typ, über den ich mich nicht lustig machen sollte. Er geht mir eigentlich auch nur deshalb so auf die nerven, weil er sehr laut mit seiner mutter telefoniert, diese dann irgendwann dabei anschreit und ich aufgrund der dünnen wände, für die er nichts kann, fast jedes wort verstehe. Das nervt. Außerdem nießt er derartig laut, dass ich nachts davon schon wachgeworden bin. Ferner stört mich die vorstellung, dass er, zumindest mit einem ohr an der wand, auch meine telefongespräche belauschen kann. Und da ich viel und oft mit meiner freundin telefoniere (fernbeziehung) und wir bei den langen gesprächen auch viel unsinn reden, möchte ich nicht, dass irgendjemand mithört. Aber auch dafür kann er nichts. Es bleibt also festzuhalten: er geht mir auf die nerven, ohne dass ich ihm konkret etwas vorzuwerfen weiß. Somit sei ihm hiermit verziehen.
Mein anderer nachbar ist wohl mitte bis ende sechzig und auch ziemlich einsam. Aus seiner wohnung strömt ein starker bis sehr starker geruch nach ungewaschenem mann, biomüll und brünstigem wildschweineber. Also so ungefähr. Meine freundin und ich halten meistens die luft an, wenn wir an seiner wohnungstür vorüber gehen. Als ich in meine wohnung einzog, hat er mich freundlich begrüßt und im ersten jahr haben wir uns immer recht nett 5 bis 15 minuten im hausflur unterhalten, wenn wir uns zufällig begegnet sind. Zwar hat mich selten interessiert, was er zu erzählen hatte (vielleicht war es umgekehrt ja genauso), aber ich hielt es für eine gute tat, mich mit ihm zu unterhalten, da er ja ansonsten völlig allein ist. Er fragte manchmal nach meinem studium und ich sagte, dass ich es damit nicht so eilig habe, es aber ansonsten prima laufe. Mir schien es zu kompliziert, ihm zu erklären, dass ich bereits ein studium abgeschlossen und nun ein zweites aufgenommen habe. Doch irgendwann ist mir dann rausgerutscht – vielleicht auch weil er nach anderthalb (was ist das eigentlich für ein wort für eineinhalb?) jahren ständig fragte, wann ich denn nun mit dem studium fertig werde. Und so beging ich den fehler, zu erzählen, dass ich mein jurastudium bereits abgeschlossen habe, aber als jurist nicht arbeiten wolle und deshalb jetzt noch etwas anderes studiere. Das konnte er nicht verstehen. Ich solle mich als anwalt selbständig machen, riet er. Seine Begründung: Ohne moos nichts los. Geld bestimme die welt. Der rubbel müsse rollen. Was solle den dieses rumgeeiere? Der schornstein müsse rauchen. Man könne nicht immer nur rumstudieren und träumen. Ich sei doch schon ziemlich alt und müsse auch mal arbeiten usw. und so fort. Ich bin damals zu beginn noch ruhig geblieben und habe ihm versucht zu erklären, dass mir geld nicht so wichtig sei und es dinge gäbe, die ich um ihrer selbst willen gern täte und mit diesen dingen auch gern beruflich zu tun haben würde, aber all das ließ er nicht gelten. Fortan nutzte er unsere kleinen gespräche zwischen treppe und wohnungstür, um mir seine sicht der welt näher zu erläutern. Vielleicht hielt er mich für ein verlorenes schaf, das er für die kapitalmärkte dieser welt retten müsse. Und ich wurde nach und nach darüber immer ärgerlicher. Du ungepflegter dreckssack, dachte ich dann manchmal, ich will dir einen gefallen tun, damit du mal jemanden zum reden hast und dann schwingst du große reden über das große geld und den lauf der dinge und der welt, dabei hockst du mit mitte/ende sechzig in einer sozialhilfeempfänger-wohung, aus der es im sommer manchmal so stinkt, dass man denkt, du hättest es schon hinter dir, und bist völlig allein. Ohne geld, ohne freunde und ohne gespür für zwischenmenschliche beziehungen. Natürlich traf er mit seinen reden bei mir einen wunden punkt, da ich ähnliche gespräche übers geldverdienen, zweitstudium und brotloser kunst schon mit meinen eltern zur genüge geführt habe. Er meinte es bestimmt auch nicht böse und ich sollte nicht so streng mit ihm sein. Trotzdem habe ich seit einiger zeit schon keine lust mehr, mich mit ihm zu unterhalten. Ich grüße zwar noch, sehe aber danach zu, dass ich von ihm weg komme. Als ich neulich versuchte, meine im suff eingetretene wohungstür zu reparieren (ich hatte den schlüssel verloren), öffnete sich seine wohnungstür und er fragte, ob er mir helfen könne. Ich antwortete genervt, mir sei nicht zu helfen und schraubte weiter an der tür rum, ohne ihn weiter zu beachten. Ich kann wohl auch ein ganz schöner arsch sein. Meinen nachbarn nenne ich auch nur noch mehr oder weniger liebevoll: ekel-opa.
bratapfel-süß-sauer - 29. Nov, 11:13
ein ein-euro-geldstück ist manchmal mehr wert, also mehr wert als der nennwert (auch nominalwert genannt, sagt mir wikipedia). Ich habe mir vorgenommen, der obdachlosen (vgl. blogbeitrag: die frau vor dem supermarkt) jetzt jedesmal einen euro in den becher zu werfen, wenn ich in der stadt bin und ihr begegne. Zum einen ist das der preis dafür, dass ich über sie schreiben durfte. Hab ich mir nachträglich überlegt. Zum anderen fühle ich mich besser, wenn ich ihr etwas gegeben habe. Meiner meinung nach beinhaltet eine solche spende mehr als nur den geldwechsel. Ich meine, dass diese geste auch folgendes enthält: anerkennung und wertschätzung des menschen, mitgefühl und verständnis statt vorwürfen und ablehnung.
Sie sagt nett „danke“, ich nicke leicht und lächle ein wenig. Mir ist diese situation immer etwas peinlich.
Ich möchte ihr auf augenhöhe begegnen, auch wenn sie sitzt und ich stehe. Ich stehe nicht über ihr, nur weil ich ihr etwas gebe, denke ich. Es könnte ja auch umgekehrt sein; nämlich, dass ich in der innenstadt sitze und sie mir etwas gibt. Wer will schon behaupten, dass ihm bei bestimmten schicksalschlägen oder psychischen erkrankungen nicht dasselbe widerfahren könnte.
Früher habe ich immer gedacht: die bekommen doch sozialhilfe. Warum sollte ich denen etwas geben? Heute glaube ich aber, dass es wirklich menschen gibt, die es nicht mehr schaffen, einen hartz-IV-antrag zu stellen oder dies – aus welchen gründen auch immer – nicht tun wollen. Unabhängig davon, ob ihre gründe nachvollziehbar erscheinen oder nicht – es sind menschen wie du und ich, die zuspruch und anerkennung (und sei es nur eine kleine spende) ebenso nötig, bestimmt sogar nötiger haben als alle anderen.
Jetzt taucht in meinem blog doch der erhobene zeigefinger auf, den ich immer vermeiden will. Aber – und ich hoffe, dass der leser mir das glaubt – ich möchte niemanden belehren oder mich selbst als guten menschen darstellen. Schreiben ist ja auch – was heißt auch, in erster linie – ein selbstvergewissern, ein auseinandersetzen mit dem eigenen denken und handeln. Ich schreibe zunächst für mich selbst; wenn es anderen gefällt, ist das schön, aber nicht das entscheidende.
Also weiter: wie schon mehrfach erwähnt habe ich selbst so wenig geld, dass am monatsende oft nichts mehr übrig ist – trotz disziplin und sparsamkeit – und ich mir manchmal von freunden etwas leihen muss. Daher würde es mir schwerfallen, leuten, die hartz-IV beziehen und trotzdem betteln, geld zu geben. Aber bei der von mir beschriebenen person, weiß ich, dass sie obdachlos ist und gehe davon aus, dass sie den euro dringender braucht als ich. Ferner hoffe ich, dass sie mit der spende ähnliches verbindet wie ich: nämlich anerkennung, mitgefühl, sympathie und hilfsbereitschaft. Selbst wenn dies nicht so sein sollte, bleibt es eine, wie es wohl im BWLer-Jargon heißt, eine win-win-situation: ich fühle mich danach besser und sie bekommt geld für nahrungsmittel.
Amen.
bratapfel-süß-sauer - 28. Nov, 19:52
Mir geht’s wohl zu gut, denke ich. Ich sitze in der küche und tue nichts. Und bei diesem nichtstun geht’s mir wohl zu gut. Es gibt keinen besonderen grund, warum es mir ausgerechnet heute zu gut geht. Dieses eher seltene gefühl des zu-gut-gehens beunruhigt mich ein wenig. Kann man wohl schwer was gegen machen. Gegen das eigene zu-gut-gehen, denke ich. Geht es einem schlecht, kann man etwas dagegen unternehmen, kommt mir in den sinn: spazieren gehen, grübeln, traurig sein; bei schmerzen kann man schmerzmittel nehmen oder sich ablenken; bei langeweile oder kummer drogen nehmen; bei einsamkeit freunde anrufen oder bei depressionen einfach im bett bleiben. All das kommt bei mir gerade nicht in frage: mir ist weder langweilig, noch fühle ich mich einsam oder traurig und schmerzen habe ich auch keine. Mir geht’s einfach zu gut, denke ich und weiß nicht weiter. Ich könnte natürlich meine hand zwischen tür und rahmen einklemmen. Oder mein alleinsein zur einsamkeit umdeuten. Aber das erscheint mir nicht sachgerecht. Weil ich nicht weiter weiß, zünde ich mir eine dicke billige zigarre an. Rauchen kann man eigentlich in jeder lebenslage, weiß selbst ich als gelegenheitsraucher. Eigentlich gibt es gar keinen grund, warum es mir gerade heute zu gut geht: der himmel ist grau, mein geld knapp, ich habe keine beschäftigung und die wohnung müsste mal wieder geputzt werden. Aber das berührt mich gerade nicht.
Der schwere zigarrenrauch benebelt mich ein wenig. Ich könnte ja etwas lesen, überlege ich. Etwas lustiges brauche ich jetzt aber nicht. Und für etwas trauriges fehlt mir im moment das gespür. Wen interessieren schon die krisen großer dichter, wenn es einem selbst einfach zu gut geht?
Die zigarre ist jetzt fast aufgeraucht. Habe wieder viel zu schnell oder zu oft gezogen. Mir wird langsam schlecht. Na also: ist das der ersehnte ausweg? Ich trinke ein glas leitungswasser. Das wasser ist ziemlich kalt. Danach schmerzt einer meiner zähne.
Ich mache mir einen kaffee. Zu heiß. Verdammt. Jetzt schmerzen zunge und zähne. Beim ausdrücken der zigarre verbrenne ich mir leicht die fingerspitzen.
Plötzlich meldet mein darm ein nicht aufschiebbares bedürfnis an: ich eile ins bad und entleere mich – wohl aufgrund des kaffees und der zigarre – schwallartig. Ich brauche unmengen toilettenpapier, um wieder sauber zu werden. Ein leichter ekel bleibt zurück. Ich gehe ins wohnzimmer und lege mich auf die couch. Jetzt habe ich herzrasen. Der kaffee war wohl etwas stark. Oder die zigarre.
Ich nehme mir ein buch und versuche zu lesen, kann mich aber aufgrund der inneren unruhe nicht konzentrieren. Ich fahre den laptop hoch und spiele einen ego-shooter. Ich bin ein soldat in irgendeinem krieg und mähe alles nieder, was mir vor die flinte kommt.
Eine halbe stunde später liege ich nun völlig wirr im kopf wieder auf dem sofa. Ich schließe die augen und das sofa scheint sich zu drehen. Ich öffne die augen und denke: gott sei dank, dieses gefühl des zu-gut-gehens ist endlich weg. Viel länger hätte ich das an diesem vormittag auch nicht mehr ausgehalten.
bratapfel-süß-sauer - 23. Nov, 12:05
ich sitze vor der tchibo-filiale in der osnabrücker innenstadt. Ich habe soeben deren personal kurzzeitig außer gefecht gesetzt. Es war keine absicht. Eher zufall, aber auch kein versehen. Die beiden mitarbeiterinnen mussten so doll lachen, dass sie bestimmt (also eher gefühlte) fünf minuten nicht mehr weiter kassieren oder kaffee aufbrühen konnten. Sie hielten sich vor lachen die bäuche, einer lief der kopf so rot an, dass er zu platzen oder sie zu ersticken drohte; die andere riss ihren mund weit auf und zeigte ein beinahe makelloses weißes gebiss. Als ich mir ihre mandeln näher ansehen wollte, hielt sie ihre hand davor. Zu diesem unbeabsichtigten lachanfall kam es so (der lese verzeihe mir, dass ich wahrscheinlich zu große erwartungen an das nun zu schildernde ereignis geweckt habe): ich hatte nichts böses im sinn, wollte niemanden groß erheitern und bestellte an der theke der tchibo-filiale eine normale tasse kaffee. Die angestellte fragte, ob ich ein croissant zum halben preis dazu haben wolle. Ich trug meinen mantel offen, so dass sich mein bauch unter einem etwas knappen, also eher stramm sitzenden, schon länger nicht mehr getragenen und bestimmt beim waschen eingelaufenen grauen baumwollpullover gut sichtbar abzeichnete. Auf die frage, ob ich noch ein croissant zum kaffee wolle, antwortete ich daher: „besser nicht“, klopfte auf meinen bauch und sagte: „sie verstehen das problem?“. Sie verstand nicht gleich, was ich meinte. Erst als die neben ihr stehende kollegin vor lachen losprustete, begriff auch die erste, dass ich aufgrund meines herausragenden bauches kein croissant wolle bzw. dürfe. Und so lachten sich die beiden kassiererinnen die borsten schief und ich lachte ein wenig mit. Sie konnten gar nicht mehr aufhören zu lachen. Und wahrscheinlich wurde es ihnen auch immer unangenehmer mir gegenüber. Schließlich wollten sie mich ja bestimmt nicht auslachen. Wer kennt das nicht: soll, darf oder will man nicht lachen und versucht es zu unterdrücken, kann man meistens überhaupt nicht mehr aufhören. Zum glück bin ich bezüglich meiner stattlichen figur nicht empfindlich; ich hatte ja selbst den witz gemacht. Als sich die beiden wieder einigermaßen im griff hatten, bekam ich dann sogar noch zwei kekse zu meinem kaffee, was ich aber nicht weiter kommentierte. Und dann ging ich grinsend aus der kaffeerösterei und freute mich, dass ich den tchibo-mitarbeiterinnen kurzzeitig den arbeitsalltag ein wenig versüsst hatte.
bratapfel-süß-sauer - 23. Nov, 00:34
da sitzt eine frau vor dem supermarkt. Mehrere große vollgepackte plastiktüten neben sich. Sie trägt eine dunkelblaue winterjacke, deren kapzuze ihre haare fast vollständig bedeckt. Nur eine braune haarsträhne fällt ihr ins gesicht. Ihr alter schätze ich auf anfang bis mitte vierzig. Sie sieht müde, ja übernächtigt aus. Ihr gesicht ist schmal, leicht eingefallen. Das gesicht einer akademikerin, so kommt es mir vor. Deutsch und geschichte auf lehramt würden dazu passen. Sie sitzt auf einer ausgerollten iso-matte. Die leute gehen achtlos an ihr vorüber.
Die frau sitzt sonst in der füßgängerzone. Vor ca. 3 monaten habe ich sie zum ersten mal bewusst wahrgenommen. Aber ich glaube, dass sie noch nicht viel länger regelmäßig dort sitzt. Sie wäre mir sonst bestimmt aufgefallen. In ihren augen meine ich etwas intelligentes, waches, vielleicht auch belesenes oder gar vergeistigtes sehen zu können. Zugleich aber auch trotz, wut, unverständnis und etwas wie resignation. Ich habe sie noch nie rauchen oder alkohol trinken sehen. Oder, dass sie mit anderen menschen gesprochen hat. Wenn sie in der fußgängerzone sitzt, mit dem rücken zur wand eines konsumtempels, lehnt manchmal ein pappschild an ihren knien. Davor ein leerer kaffeebecher. Auf dem schild steht: ich habe hunger.
bratapfel-süß-sauer - 21. Nov, 21:11
ich sitze in selbstgestrickten wollsocken meiner oma vor dem laptop und denke an sie. Meine oma war echt eine wucht. In gewisser weise hatte sie ähnlichkeit mit miss marple. Sowohl vom aussehen her als auch hinsichtlich dieser verschmitzten, schelmischen art. seit ihrem tod vor über 3 jahren vermisse ich sie.
was kann ich über sie erzählen?
Als erstes kommt mir in den sinn: Sie hatte eigentlich immer gute laune, lachte viel und liebte das leben. Obwohl sie bestimmt kein leichtes gehabt hat: sie wuchs mit 8 geschwistern auf einem bauernhof in der eifel auf. ihre mutter starb als sie neun jahre alt war; mit zehn wurde sie zu einem fremden bauern geschickt, um dort für kost und unterkunft zu arbeiten, da der eigene kleine hof nicht alle ausreichend ernähren konnte. uns erzählte sie, dass sie immer gern zur schule gegangen ist und eine der besten im kopfrechnen war. Am rande bemerkt: Zu den besten zu gehören und zu gewinnen war meiner oma ihr ganzes leben lang wichtig. Trotz des harten lebens (im winter gab es manchmal fast nichts außer kartoffeln zu essen) und der schweren körperlichen arbeit war es doch ein sehr lustiges völkchen, was dort in dörfern in der eifel, dicht an der grenze zu luxenburg lebte. Sie machten gern witze, lachten viel und liebten es einander streiche zu spielen.
Meine oma war auch sehr tolerant: nie hat sie sich über die jugend von heute beschwert. wenn meine oma einen punk mit irokesenschnitt sah, dann sagte sie diesem gleich:“ das sieht ja toll aus. Darf ich mal anfassen?“ nur das die heutige jugend so wenig lacht, störte sie sehr. „die haben doch fast alles; warum wirken die so unglücklich?“
Sie war auch wie ihre ganze sippe sehr gesellig. Meine oma liebte es karten zu „kloppen“ (doppelkopf, skat, schwimmen usw.); ich werde manche kartenspielerredewendung nie vergessen: „mitnehmen“ sprach der polizist; „man kann se nich mit schlafen nehmen“ (die trümpfe); „karte oder nen stück holz“ usw.. am besten ging es ihr natürlich, wenn sie gewann.
Als mein bruder und ich noch kleiner waren, erzählte sie uns gern geschichten, insbesondere von „jahn und marei“: diese geschichten kannte nur meine oma und ich habe sie nie wieder woanders gehört. Natürlich waren ihre geschichten aus dem wahren leben für uns enkel später spannender: so erzählte sie bspw. wie zwei brüder versucht hätten, den dorflehrer im ersten stock aus dem fenster zu schmeißen, weil dieser tags zuvor ihre schwester so stark geschüttelt hatte, dass dabei ihr kleid zerrißen war. Überhaupt wurde damals noch viel geprügelt: so hat auch meine oma ab und an in der schule den rohrstock des lehrers über die finger bekommen und verzog auch über 60 jahre später immer noch schmerzverzerrt das gesicht.
Eine andere geschichte besagte, dass ihr bruder nachts als es dunkel war, sich mit einem zechkompan nebeneinander an den wegesrand hockten, um ihr großes geschäft zu verrichten. Dabei zog der brudern meiner oma dem betrunkenen zechkompan dann heimlich die unterhose derart lang, dass dieser sich in die eigenen klamotten schiß. Solche rustikalen spässe liebte man.
Es gab aber auch echte heldengeschichten: so erblickte ein bauer aus der nachbarschaft einen jungen stier, der einen achtjährigen jungen auf die hörner genommen hatte (das eine horn hatte sich wohl durch den unterkiefer des jungen gebohrt, so dass dieser wie an einem haken festhing), rannte dorthin und schlug anschließend mit einem herausgerissen zaunpfeiler den jungen bullen k.o.. der junge überlebte den vorfall. Der jungbulle nicht. Er kam direkt danach zum schlachter. Und von solchen tollen geschichten hatte meine oma eine menge auf lager.
Genauso gierig wie nach dem leben, nach freude und abwechslung war meine oma nach obst: sie ist die einzige, die ich kenne, die jemals 10 bananen am stück gegessen hat. Oder zwei kilo kirschen. Oder unmengen birnen oder äpfel. Unter den dadurch hervorgerufenen flatulenzen hatte dann mein opa zu leiden, sie unter verdauungsproblemen.
Ihre letzten jahre waren stark vom kampf gegen den krebs bestimmt: erst wollte sie auf die chemo-therapie verzichten, aber sie lebte doch viel zu gern, um sich kampflos dem krebs zu ergeben, und stand die chemo-therapie mit ihren schweren nebenwirkungen dann sehr tapfer durch; sie hat sich fast nie beklagt; war nur ärgerlich, dass sie das von ihr geliebte obst und gemüse nicht mehr essen durfte (bzw. nicht mehr die vorherigen unmengen). Oft hielt sie sich nicht an den ernährungsplan und hatte dann entsprechende probleme.
Auch an das ärztliche fahrradfahrverbot hielt sie sich nicht: trotz mangelnder sicht und einem wackligen fahrstil war sie auch in ihren letzten jahren mit dem fahrrad bei wind und wetter unterwegs. Meine eltern machten sich sorgen, wollten ihr diese körperliche aktivtität aber auch nicht nehmen. Natürlich kam es zu spektakulären stürzen, bei welchen zum glück nie etwas ernstes passierte. So fuhr meine oma mit vorliebe in urplötzlich auftauchende straßenbaustellen hinein und blieb irgendwo hängen oder stecken und flog dann über den fahrradlenker. Anschließend erzählte sie uns beim sonntäglichen kaffeetrinken voller stolz, dass augenzeugen über ihr sportliches abrollen entzückt gewesen wären.
Auch wenn alters- und krankheitsbedingt ihre kräfte immer weiter nachließen, war sie beleidigt, wenn jüngere menschen sie auf dem fahrrad überholten. An einem für sie guten tag biss sie dann die zähne zusammen, trat in die pedale und schaffte es manchmal noch, eine dreißig jahre jüngere frau ihrerseits wieder zu überholen (wenn vorher keine baustelle auftauchte).
Diese freude am leben ließ sie sich auch von der krebserkrankung nicht nehmen. Auch mit achtzig jahren hopste sie noch – soweit es die kräfte zuließen - um zwölf uhr auf familienfeiern zwischen den jungen leuten auf der tanzfläche herum. Diesen tanz, bei welchem man seine arme auf den schultern der nachbarn ablegt und dann die beine nach links und nach rechts schwingt, mochte sie besonders.
weiter war sie sehr sparsam: sie kaufte ihre klamotten überwiegend bei aldi oder strickte sie selber; stattdessen bekamen wir enkel oft 50 € zugesteckt, eingewickelt in alufolie, meistens noch ein paar selbstgestrickte wollsocken dazu; hätte sie gewusst, dass mein bruder und ich einen großteil des uns von ihr zugesteckten geldes während des studiums in kneipen trugen, hätte sie ihre kleine rente vielleicht nicht so großzügig an uns verschenkt: oder vielleicht gerade doch: „junge leute sollen spass haben“, war eines ihrer motti.
der letzte besuch: als mein bruder und ich sie dann vor über drei jahren im krankenhaus besuchten, wußten wir zum glück nicht, wie schlecht es ihr zu diesem zeitpunkt schon ging; wie sonst auch lachten wir mit meiner oma, machten witze („wenn du wieder zuhause bist, trinken wir zusammen eine flasche schnaps“) und gingen wie sonst auch ganz normal mit ihr um; heute denke, dass mein bruder und ich ganz schön naiv waren (schließlich ist sie zwei wochen später gestorben); diese unwissenheit aber hat es zu einem schönen letzten treffen werden lassen; mein bruder und ich waren unbeschwert; meine oma spielte mit und war bestimmt auch froh, dass gelacht und nicht getrauert wurde. hätten wir es gewusst, wäre es bestimmt ein trauriger abschied geworden;
ich werde meine oma nie vergessen; sie ist der erste verstorbene mensch aus meinem verwandten- und bekanntenkreis, der mir wirklich wichtig war. Ich vermisse sie und träume noch oft von ihr.
Heute hätte ich vielleicht auch den mut, ihr zu sagen, dass sie für die selbstgestrickten socken mal bessere wolle (und eben nicht die billigste) verwenden solle. Diese kratzigen dinger sind fast untragbar. Aber was nimmt man nicht alles in kauf, um die erinnerung an einen geliebten menschen wach zu halten.
bratapfel-süß-sauer - 20. Nov, 19:41
es passieren schon merkwürdige dinge. Irgendwann wollte mein laptop einfach keine internetverbindung mehr aufbauen. Für die meisten menschen kein beinbruch, für mich schon. Es passierte an einem sonntagabend und meine freundin, die sich sonst um diese sachen in meinem haushalt kümmert, war gerade abgereist. Also nur vorübergehend. Nicht endgültig. Wir führen eine fern- und somit wochenendbeziehung. Die installation von technischen geräten ist für mich keine leichte aufgabe. Anderen geht sowas locker von der hand. Mir nicht. Bei mir macht sich schnell panik breit. Ich habe keine geduld und meine frustrationstoleranz ist bei solchen dingen extrem gering. Als ich gestern abend dann plötzlich keine internetverbindung mehr hatte, wusste ich zunächst mit dem abend nichts anzufangen. Dann wollte ich die verbindung reparieren, wusste aber nicht, wo anfangen. Außerdem war die tesafilm-rolle verbraucht. „ist doch eh w-lan, du doof“, warf ich mir gedanklich vor. Nach mehrmaligen ein- und ausschalten des modems und munterem rauf- und runterfahren meines laptops gab ich es auf. So einfach finden modem und rechner also nicht wieder zusammen. Hätte mich auch gewundert. Auf dem modem blinkten einige lichter rot, die sonst grün blinken oder leuchten und ich hielt das für ein schlechtes zeichen. Nachdem ich mir dann einige zeit darüber gedanken gemacht hatte, wofür ich eigentlich das internet bräuchte und ob es nicht auch ohne ginge, rief ich meine freundin an. Ihre erste antwort war für mich der erste tritt in die eier. „guck doch mal in die bedienungsanleitung, was die blinkenden lichter zu bedeuten haben“, sagte sie; da hätte ich ja wohl noch selber drauf kommen können. War ich aber nicht. Ferner werde sie sich am freitag dann darum kümmern. Ich werde es ja allein – wie immer – nicht hinkriegen, führte sie weiter aus. Ich wollte mich empören, fürchtete aber, wenn ich zu selbstbewusst aufträte, dass sie, um mich mit hohn und spott überziehen zu können, am freitag die internetverbindung dann nicht repariert – im sicheren wissen, dass ich es allein nicht hinkriege. Was bin ich eigentlich für ein mann?, fragte ich mich. Ein mann, der bei der installation technischer geräte seine freundin braucht. Es ist zum verzweifeln. Dann heute morgen die überraschende wende. Befeuert durch zwei tassen kaffee und vier scheiben toast wagte ich mich noch mal an die schier übermenschliche aufgabe. Ich rief den installation-assistenten auf (das ist leider nur eine bildschirmmaske, keine person, der ich mein leid hätte klagen können) und führte noch mal eine komplette neuinstallation durch. Klingt großartig, hat aber alles der installation-assistent gemacht. Ich musste nur passwörter und wpa-schlüssel eingeben (bei günther jauch wäre ich gescheitert, da ich jedes passwort mindestens ein mal falsch eintippte). Ich glaubte zwar nicht, dass ich damit erfolgreich sein würde, hatte aber auch nichts besseres zu tun. Und dann (nachdem der assistent mich darauf aufmerksam gemacht hatte, dass ich vergessen hatte, am modem wieder alle kabel anzuschließen – wie hat der das eigentlich sehen können, das modem steht doch im flur?) urplötzlich - die installation war noch gar nicht ganz abgeschlossen - leuchteten am unteren bildschirmrand fünf ansteigende volle balken auf. Für mich die treppe direkt zum olymp. Hektisch rief ich einige internetseiten auf (spiegel-online, amazon, chilloutzone) und als diese dann alle angezeigt wurden, wusste ich: ich habe es geschafft. Meine erste selbstaufgebaute internetverbindung. Wahnsinn. Ohne fremde hilfe (also bis auf die des installationsassistenten). Aber das mit dem vergessenen internetkabel hätte ich bestimmt (vielleicht, eventuell) irgendwann selber bemerkt. Ich fühlte mich wie ein junger gott und überlegte kurz, mich von meiner freundin zu trennen, da ich sie ja nun nicht mehr bräuchte. Andererseits kann ich auch keinen fernseher programmieren und ihr altes iphone will sie dann bestimmt auch zurück haben. Nach kurzem hin und her sprach also doch mehr für die aufrechterhaltung der beziehung. Dafür werde ich am wochenende ihr gegenüber aber viel selbstbewusster auftreten. Schließlich habe ich allein und ganz souverän eine internetverbindung installiert. Und dann surfte ich glücklich und munter als neuer echter mann ein wenig im internet herum.
bratapfel-süß-sauer - 12. Nov, 11:55
wenn ich mehrere tage mehr oder weniger fast völlig allein war, mich also mit niemandem getroffen und nur mit meiner freundin telefoniert habe, sollte man nicht den fehler machen, mich anzurufen. Oder sich von mir anrufen lassen (also meinen anruf entgegenzunehmen). War ich zu lang allein und habe zu wenig gesprochen, kann es passieren, dass ich völlig aufgekratzt und unruhig am telefon rede, schreie, plärre oder hysterisch lache. wie ein wasserfall. Munddurchfall. Abladen, abladen, loswerden, ausheulen. Ich kann dann manchmal gar nicht mehr aufhören zu reden. Schäme mich bereits während des telefonats. Kann aber auch nicht aufhören. Vielleicht ist mein unterbewusstsein schuld und souffliert mir : „die chance musst du nutzen. Wer weiß, wann sich die nächste möglichkeit ergibt.“ Und so texte ich die leute dann manchmal derartig voll, dass einige schon gar nicht mehr mit mir telefonieren wollen. Wenn ich so richtig im rausch bin, könnte mein gesprächspartner auch eine aufnahme mit einigen „hmms“ und „achs“ und „jas“ abspielen, ohne dass ich es merkte. Also: wie kann man sich vor mir schützen? Es gibt unterschiedliche möglichkeiten und taktiken: meine freundin schläft manchmal demonstrativ ein (am telefon simuliert sie dann lautes schnarchen); mein bruder versucht einfach noch mehr zu reden als ich (was ihm meistens auch gelingt) und andere schieben nach wenigen minuten termine vor, die sie um die uhrzeit gar nicht haben können. Bei wem kommt denn abends noch ein handwerker vorbei?(höchstens um das oft erwähnte rohr zu verlegen oder feuchte stellen zu bearbeiten). Andere versuchen über themen zu reden, die mich überhaupt nicht interessieren, bspw. Menstruation oder vegane ernährung. Das klappt auch. Dann habe ich auf einmal termine oder lasse mein handy oder die wohnungsklingel läuten. Was sind das nur für menschen, die nicht merken, dass sie einen mit ihrem stundenlangen telefongequatsche nerven, denke ich in so einem fall. Hab ich die nervensäge mit ihren langweiligen themen aber abgewürgt, fühl ich mich manchmal plötzlich wieder ganz einsam. Dann nehme ich mein handy und gucke in der telefonliste, wenn ich schon länger nicht mehr angerufen habe. Na der wird sich gleich einiges anhören müssen, denke ich grinsend, während das telefon die verbindung aufbaut.
bratapfel-süß-sauer - 9. Nov, 09:03
ich liebe horst evers. Also seine geschichten. Ob ich ihn auch liebe, weiß ich nicht. Hab ihn noch nicht kennengelernt. Außerdem ist er verheiratet. Egal. Weiter im text: ich würde auch gern so schreiben können. Sicherlich ist dieser mann kein geheimtipp mehr, aber ich habe ihn für mich gerade erst eher zufällig entdeckt. Ein mich vom cover her ansprechendes hörbuch in der bücherei (titel: mehr vom tag), landete in meinem ausleihkorb. Beim ersten hören ist es passiert. Ich habe mich verliebt. In seine geschichten. Bei meinen geschichten kann man höchstens mal schmunzeln; bei seinen sachen lache ich mich auch beim dritten mal anhören immer noch fast tod. Verdammt. Dieser arsch. Warum kann der so was? und ich nicht? Was hat er, was ich nicht hab? Ich hab doch auch einen bollerkopf, doppelkinn und figurprobleme – als ausgleich hat mich aber der mehr oder weniger liebe gott nicht mit solch einem talent ausgestattet; ich bekam noch als beigabe und nicht als ausgleich: asthma, allergien, kurzsichtigkeit und eine gewisse schwermut aufgedrückt. Das ist nicht gerecht, denke ich. Naja, kann man nichts machen. Dafür hat horst an mir noch keinen cent verdient. diesem zu gut weggekommenen zahl ich`s heim (bzw. eben nicht), denke ich. Demnächst leihe ich mir die große horst-evers-box aus der bücherei aus; nehme mir jetzt schon fest vor, das meiste nicht mehr ganz so gut zu finden; soll er doch sehen, wie er von dem quatsch leben kann, der arsch. Auch meinen lesern kann ich nur raten: schaut euch doch mal seine sachen auf youtube an: dafür kriegt horst nichts und ihr werdet bestimmt sehr kräftig lachen müssen. Eines meiner lieblingsstücke ist „monika“ (also auf www.youtube.de gehen und "horst evers – monika" eingeben). Wer dabei nicht lachen muss, sollte sich bei seinem gott mal über den wohl vergessenen sinn für humor beschweren.
bratapfel-süß-sauer - 7. Nov, 14:07